Mega Renaming: Aus Twitter wird X – Satz mit X?
Elon Musk hat es gut, der knallt einfach mal einen neuen Namen für eine weltbekannte Marke raus und keiner kann was dagegen machen. Könnte man meinen. In diesem Fall wäre es empfehlenswert gewesen, der Twitter-Inhaber hätte sich ein paar Einschätzungen angehört und durch den Kopf gehen lassen. Denn so was hat die Markenwelt wohl noch nicht erlebt.
Viele Branding-Profis auf der ganzen Welt halten die Umbenennung von Twitter zu X für das "schlechteste Renaming" aller Zeiten, Anthony Shore spricht von einem "Debranding". Markenexperte Karsten Kilian nennt das Renaming "einfach dilettantisch".
Was ist bei Twitter zuvor passiert?
1. Milliardär kauft eine der größten sozialen Plattformen namens Twitter.
2. Er gestaltet dort alles Mögliche um bzw. setzt alle möglichen Änderungen mit der Brechstange durch.
3. Werbekunden ziehen sich zurück, die Erlöse sinken, Twitter verliert deutlich an Reichweite.
Mit welchen Problemen auch immer ein Unternehmen gerade zu kämpfen hat, lässt sich das Ruder auf viele Arten herumreißen. Einfach unter den Deckmantel eines neuen Namens und Logos zu schlüpfen, war jedoch noch nie eine gute Idee.
Okay, bei Twitter ist vieles anders als in "normalen" Unternehmen. Hier gibt einen Alleinherrscher mit scheinbar endlosem Budget und einer immer noch treuen, teils unerschütterlichen Fangemeinde. Doch nun schwindet die Loyalität, weil sich Twitterer der ersten Stunde übergangen fühlen und den neuen Kurs nicht nachvollziehen können.
Gehen wir davon aus, dass die Umbenennung nicht nur von den aktuellen Problemen und dem drohenden Niedergang ablenken soll. Warum dann das ganze Trara mit dem Namen? Musk hat wohl scheinbar den Plan, Twitter X zu einer "App für alles" zu machen und damit dem Vorbild WeChat aus Asien zu folgen: eine App, mit der man vom Bezahlen bis zum Einreichen der Scheidung so ziemlich "alles" machen kann. Das würde bedeuten, dass das Twitter wie wir es kannten tatsächlich Geschichte ist. "X" könnte also mit jeder Menge PR im Rücken versuchen, dieses Ziel zu erreichen. Ob das gelingt, kann aktuell kein Mensch voraussagen und bleibt abzuwarten.
Eignet sich X als alleinstehender Markenname?
Für mich als Namensfinder ist es zunächst erstaunlich, dass ein neuer Markenname zum Zuge kommt, der nur aus einem einzigen Buchstaben besteht. Es ist ja schön für Elon Musk, dass er seinem Business-Baby wie seinem Sohn auch ein X aufs Auge drücken kann. Aber kann das überhaupt markentechnisch und kommunikativ funktionieren?
Aus Twitter wird X – aus Namestorm wird N? Nein, lieber nicht.
Immerhin gehört Musk schon einmal die unbezahlbare Domain x.com. Das ist eine tolle Sache und ein starkes Asset, wären da nicht die über 250 registrierte Marken mit dem Buchstaben "X" in der EU und weitere 900 in den USA. Die ersten Kanzleien sind im Auftrag anderer "X"-Markeninhaber bereits eingeschaltet, so dass bei Herrn Musk in der nächsten Zeit eine Menge unschöner Briefe mit Abmahnungen eintrudeln dürften. Es geht um Schadensersatz und den Versuch, die Nutzung des Namens zu unterbinden oder einzuschränken.
Vielleicht hat Elon Musk mal in die Markenregister gelinst oder wurde von seinen Anwälten darauf aufmerksam gemacht, dass es hier ein paar Probleme geben könnte. Diese Kleinigkeiten scheinen ihn aber nicht aufzuhalten. Man fühlt sich an Facebooks Umbenennung in Meta erinnert (hier ein Interview von mir zur Meta-Umbenennung); Mark Zuckerberg hat sich auch nicht von solchen Lappalien abhalten lassen.
Tatsächlich ist es stiller geworden um den Schutz der Marke Meta und ein Blick in die Markendatenbanken zeigt einige inzwischen erfolgreich registrierte nationale Marken. Der EU-weite Schutz oder einer in Deutschland steht jedoch noch aus. Ohne tiefer einzusteigen kann man sich vorstellen, dass das eine zähe und teure Angelegenheit ist." Teuer" scheint aber keine Rolle zu spielen und da das Rebranding ja längst vollzogen ist, scheint man in Menlo Park davon auszugehen, dass man das früher oder später alles geregelt kriegt. Ähnlich dreist und siegesgewiss dürfte Elon Musk auch drauf sein. Es gibt nur ein Problem: das mit dem X wird weitaus schwieriger und im Ernstfall könnte Elon Musk die Nutzung von "X" z.B. in der EU verboten werden.
Übrigens: auch Namestorm hat das starke "X" schon verwendet - für Sky Austria. Die Marke wurde etwas umsichtiger als "Sky X" EU-weit geschützt.
Wie sieht es in kommunikativer Sicht aus mit dem Buchstaben X als Name? Ein Satz mit X? Einfacher würde es sicher gehen, wenn das X nicht so mutterseelenallein im Raum stehen würde, sondern das schützende Dach einer Marke über sich hätte. So hat Musk eine enorme Aufgabe vor sich: Er muss den Mini-Namen so in die Köpfe kriegen, dass alle irgendwann damit nur noch diese App assoziieren, von der noch keine näheren Pläne bekannt sind. Das klingt so, als müsste ein echtes Marketing- oder Produktwunder geschehen. Allen Namensuchenden, die ein nicht ganz so großes Budget wie Herr Musk zur Verfügung haben, sei davon schon mal dringend abgeraten.
Mit den kultigen und heiß geliebten Verben "twittern" oder "tweeten" sieht es auch schlecht aus: "ich ixe das grad noch" oder "let's ex this" klingt sowohl auf Deutsch wie auf Englisch nicht so optimal, als würde man etwas eliminieren - "weg-ixen" - oder in einem Zug runterstürzen wie ein Bier. Und auch der "Tweet" – also ein Beitrag auf Twitter – ist dann Geschichte. Ein ähnlich griffiges, vom Markennamen abgeleitetes Hauptwort wird sich nicht mehr so einfach finden lassen.
Was können andere Unternehmen aus der Umbenennung lernen?
Man sieht auf jeden Fall, dass eine Umbenennung hohe Wellen schlagen kann. Zwar ist das hier bei X-Twitter extrem, aber auch bei anderen Markennamen-Änderungen wird darüber viel in der jeweiligen Branche oder Nische berichtet und diskutiert. Das kann eine große Chance sein, wenn man sich an einen gut durchdachten Ablauf hält und die Gründe für einen neuen Namen mit einer ehrlichen Neuausrichtung in Einklang stehen. Keinesfalls vergessen darf man wie empfindlich Stammkäufer oder Fans einer Marke sein können, wenn ihr Lieblingsangebot auf einmal anders aussieht oder anders heißt.
Dass das nicht mit der Brechstange geht, zeigt die doppelte Umbenennung des Spülmittels "Fairy Ultra". Dieses wurde im Zuge einer internationalen Vereinheitlichung zeitweise in "Dawn" umbenannt. Diese Umbenennung hat Inhaber Procter & Gamble jedoch ohne die Kundschaft gemacht. Die konnte mit dem neuen Produktnamen nämlich so gar nichts anfangen und kaufte bei der Konkurrenz. Als Folge davon wurde der ursprüngliche Markennamen "Fairy" wieder zurückgeholt – und die Umsätze gingen wieder hoch.
Manchmal muss ein Renaming sein, wenn es gewichtige und nachvollziehbare Gründe dafür gibt, wie bei rechtlichen Angelegenheiten oder weil die Produkte nicht mehr unter den alten Namen passen. Erfolgreich eingeführt und etabliert werden kann der neue Name, wenn Kundschaft, Mitarbeiter und Partner frühzeitig mit ins Boot geholt werden und Teil des Prozesses sind. Man merke: einen Namen finden ist anspruchsvoll, einen alten Namen gegen einen neuen austauschen um einiges anspruchsvoller. Daher lautet der vielleicht wichtigste Tipp, genügend Zeit einzuplanen und eben nicht mit der Brechstange an das Thema heranzugehen. Vielmehr ist Einfühlungsvermögen gefragt.
Wie geht es weiter mit dem X? Damit hat sich Musk neben den anderen Tausend X-Markeninhabern nicht nur mit Microsoft, Sony, Panasonic, Adidas oder der Rockband Metallica angelegt, die ebenfalls X-Marken besitzen. Auch Meta von Mark Zuckerberg will das X vom Alphabet haben. Welcher der beiden Giganten wohl das Rennen macht? Hier findet sich ein Vorgeschmack auf den Marken-Kampf der Macker Musk und Zuckerberg. Wir sind gespannt!
Steht demnächst eine Umbenennung an oder wird darüber in ihrem Unternehmen nachgedacht? Kontaktieren Sie uns gerne bei Fragen zum Renaming-Prozess oder sonstigen Themen rund um die Namensentwicklung.