Namensfindung für Fortgeschrittene: Tabu-Themen
Professionelle Namensentwickler werden insbesondere dann gesucht, wenn das zu benennende Thema an sich schon schwierig, schmerzhaft oder schambehaftet ist. Über Produkte gegen Durchfall, Verstopfung, Blasenentzündung oder Erektionsstörungen will niemand sprechen, dennoch benötigen die betroffenen Menschen sie sehr dringend, um ihre Beschwerden zu lindern. Umso wichtiger, dass hier mit Einfühlungsvermögen und Fingerspitzengefühl an die Namensentwicklung herangegangen wird.
Wie also etwas benennen, über das keiner sprechen will? Wir haben die fünf wichtigsten Tipps für das Naming von Tabu-Themen zusammengefasst:
1. Das Kind nicht beim Namen nennen
Man stelle sich vor, in den Drogeriemarkt zu gehen und nach einem Produkt zu fragen, das Blasenwohl oder Inkontinea heißt. Auch wenn beschreibende Namen in anderen Bereichen sinnvoll sein mögen, um den Anwendungsbereich direkt zu erklären, ist bei solch heiklen Themen davon abzuraten. Wer sich schämen muss, eine Schwäche mitten in der Öffentlichkeit zuzugeben, dem wird nicht geholfen, sondern er wird noch zusätzlich gedemütigt – und wird lieber zu einem anderen Produkt greifen.
Unsere Empfehlung: Namensfindung inkognito. Andere Namenstypen wie Kunstnamen oder Bildhafte Namen verwenden, die verschleiern, worum es geht. Auch wenn man dann eben nicht genau erkennt, wofür das Produkt gedacht ist, erleichtert man schon mit der Namensfindung den Alltag der betroffenen Menschen. Wer solche Produkte braucht und nach ihnen fragen muss, ist dankbar für einen unkomplizierten, wohlwollenden Namen ohne Schamgefühle.
2. Das Gefühl „danach“ in den Vordergrund stellen
Wenn schon ein Bezug zum Thema, dann bitte ein positiver. Na klar, werden Sie denken. Tolle Idee, aber wie soll das gehen bei so schwierigen und oft schmerzhaften Themen? Wer einen Namen für ein leckeres Lebensmittel oder eine Kosmetikmarke sucht, findet schnell passende und positive Assoziationen rund um Schönheit, Duft, Genuss, Gesundheut, Jugend etc.. Bei Blasenentzündung oder Verstopfung gelingt das nicht so einfach bzw. nur auf Umwegen.
Wir empfehlen, die Emotionen oder Erleichterungen, die ein Produkt (er)schaffen soll, in den Vordergrund zu stellen! Bei der Namensfindung sollte man sich fragen, welches Ergebnis sich der Kunde durch den Kauf oder die Verwendung des Produkts wünscht: Erleichterung, Sicherheit, Aktives Leben, Bewegungsfreiheit oder schlicht einen beschwerdefreien Tagesablauf. Nicht die Beschwerde an sich, sondern die Erlösung davon sollte im Fokus der Namensfindung stehen. Ein Beispiel hierfür ist die Marke Vivoy des Frankfurter Unternehmens Lillydoo, die jüngst auf den Markt kam und Binden für an Inkontinenz leidende Menschen anbietet.
Mit dem von den Namestorm entwickelten Namen wird das aktive, freie und bewegungsfreudige Leben betont, das man mit diesem Produkt wieder genießen kann: Vivid (lebendig/lebhaft) und enjoy (genießen) wurden zu einem Kofferwort zusammengefügt, welches das „Gefühl danach“ in einer neuen Wortschöpfung ausdrückt. Name, Markenauftritt und der Online-Lieferservice direkt vor die Haustüre unterstreichen den innovativen Ansatz, Menschen mit Blasenschwäche diskret abzuholen und ihnen das Leben buchstäblich zu erleichtern.
3. Positive Bilder schaffen
Was haben Namen wie Apple, Lime und Lemonade gemeinsam? Sie erzeugen ein positives Bild von Frische, Spritzigkeit und/oder Geschmack, ohne auch nur anzudeuten, was hinter den Namen steckt, nämlich innovative Computertechnologie, E-Roller und eine Versicherung.
Diesen bildhafte Namensroute kann man auch für schwierige Themen nutzen. Ganz unabhängig vom Thema an sich kann man auf die Suche nach offenen und freundlichen Worten und Assoziationen gehen, die ein positives Bild im Kopf erzeugen. Zum Beispiel ist Carimera für eine Plattform zur Hilfe bei Verstopfung auf den ersten Blick vielleicht ein ungewöhnlicher Name für das Thema. Er erzeugt aber treffend ein positives Gefühl von einem guten beschwerdefreien Tag (Kalimera = guten Tag auf Griechisch). Durch die Abwandlung (Cari statt Kali) wird die Hilfe anbietende Ausrichtung (care = kümmern, pflegen) mit eingebracht und ein wohlklingender uniquer Name geschaffen. Patienten sollen sich so eingeladen und willkommen fühlen, sich Infos und Hilfe zu holen und mit anderen Betroffenen auszutauschen.
4. Buchstaben sind das A und O
Ein geeigneter Namenstyp für die diskrete Namensfindung sind Kunstnamen, die auf den ersten Blick nichts bedeuten, sondern einfach „gut“ klingen. Je weniger Inhalt in einem Namen rübergebracht wird, desto eher kommt es darauf an, wie und nach was er genau klingt. Hier kann man sich die Eigenschaften einzelner Buchstaben zunutze machen. So klingt zum Beispiel ein "O" oder "A" offen, weich und rund, ein "E" oder "I" eher klein und niedlich. Vokale wie "K" oder "T" werden eher als spitz und hart wahrgenommen.
Will man einen Namen rund um Pflege, Sorge und Wohlgefühl schaffen, sind also weichere Buchstaben wie A, O, S oder L eine gute Basis. Für eine Pflegeeinrichtung, die schwer kranken Patienten nach einem Klinikaufenthalt zuhause hilft, hat Namestorm nach diesem Prinzip den Namen Sovelio entwickelt. Den zunächst als Basis verwendeten Begriff „sollevato“ (= erleichtert, aufgehoben) erkennt man nur noch im Ansatz. Wichtiger ist der weiche und angenehme Klang, der zur Ausrichtung der Dienstleistung passt.
5. Weniger Witz ist mehr
Manch eine pfiffige neue Namenskreation bedient sich des beliebten Stilmittel des Wortwitzes. Bei den schon häufig zitierten Friseurnamen, aber auch in vielen anderen Branchen, stolpert man im wahrsten Sinne des Namens über allzu witzige Wortspiele. Die noch relativ junge Branche der Unverpacktläden ist hier ganz vorne mit dabei: Oben Ohne, Frau Lose oder SOHNEnschein sind Beispiele für Namen mit wenig Verpackung, aber viel Wortwitz.
Für Tabuthemen können wir ganz klar festhalten, dass Witzigkeit hier tatsächlich Grenzen kennt. Wer unter einer Tabu-Krankheit oder Störung von Körperfunktionen leidet, möchte nicht auch noch veräppelt werden. Junge und „freche“ Markennamen wie zum Beispiel Happy Po sind zwar voll im Trend und mögen für eine Po-Dusche auch die richtige Wahl sein. Bei echten Beschwerden sollte man aber gut überlegen, wo die Grenze zwischen frech und respektlos liegt und ob „Poo-rity“ oder "ShitFit" für Verdauungs- oder "Untenruhm, Bladd Beauty und Flowhow" für Blasenprobleme in die richtige Namens-Richtung gehen. Den Witz hier also besser in der Kiste lassen und die Beschwerden der Menschen ernst nehmen.
Namensfindung für Tabu-Themen erfordert also viel Fingerspitzengefühl und eine intensive Beschäftigung mit dem Thema. Man sollte damit starten, sich besonders empathisch in die potenziellen Kunden einzufühlen und zu überlegen: was bewegt sie, was wollen sie (wieder) erreichen, wie verändert sich ihr Leben positiv durch die Anwendung des Produkts? Über solche Pfade gelangt man zu positiven Emotionen, Bildern und Worten, die sich für respektvolle und schambefreite Namen für Tabu-Themen eignen.